Die heutigen Herausforderungen, der rasche und unvorhersehbare technologische Fortschritt und die sozioökonomischen Umwälzungen unserer Zeit erfordern ein völlig neues Verständnis von Bildung. Das traditionelle Bildungssystem ist hauptsächlich auf die Vermittlung von Wissen aus der Vergangenheit ausgerichtet. Gefordert ist jedoch ein System, das den Menschen in seiner Ganzheit betrachtet und ihn befähigt, die sich ständig verändernde Welt zu entdecken, mitzugestalten und letztlich darin Sinn zu finden und Sinn zu stiften. Dieser kurze Essay soll die Dringlichkeit einer Veränderung unserer Bildungssysteme auf den Plan rufen.
„On the side of education, this is a matter of overthrowing the traditional view of pedagogy as the inter-generational transmission of authorised knowledge. Education is not a ‘stilling in’ but a ‘leading out’, which opens paths of intellectual growth and discovery without predetermined outcomes or fixed end-points.
It is about attending to things, rather than acquiring knowledge…; about exposure rather than immunisation. The task of the educator, then, is not to explicate knowledge for the benefit of those who are assumed, by default, to be ignorant, but to provide inspiration, guidance and criticism in the exemplary pursuit of truth.“
(Ingold 2017, p ix)
Bildung in der VUCA-Welt
Um gleich zur Sache zu kommen: Wir wollen uns zunächst mit dem spezifischen Umfeld befassen, in dem Bildung heute ihre Aufgabe erfüllen muss. Der Begriff VUCA-Welt (Baran and Woznyj, 2021), der für Volatilität (“volatility”), Ungewissheit (“uncertainty”), Komplexität („complexity„) und Mehrdeutigkeit (“ambiguity”) steht, charakterisiert treffend die Beschaffenheit der Welt, in der wir heute leben. Auch wenn dies wie ein neues Phänomen erscheinen mag, zeigt uns die Geschichte, dass wir schon immer in solch einer VUCA-Welt gelebt haben und uns in unterschiedlichen Herausforderungen und Veränderungen behaupten mussten. Die gegenwärtige Ära muss jedoch in ihren VUCA-Eigenschaften als außergewöhnlich betrachtet werden. Das rasante Tempo des technologischen Fortschritts, der ökologischen und geopolitischen Verschiebungen und der sozioökonomischen Veränderungen, etc. hat die Unbeständigkeit, Unvorhersagbarkeit, Komplexität und Mehrdeutigkeit unseres Umfelds nochmals verstärkt.
Individuen, ebenso wie Organisationen und ganze Gesellschaften stehen heute vor noch nie dagewesenen Herausforderungen (z.B. Klimawandel, ökonomische und politische Verschiebungen, Artificial Intelligence, etc.), die nicht nur Agilität und Anpassungsfähigkeit erfordern, sondern zukunftsorientiertes innovatives Denken, um inmitten ständiger Disruptionen nicht nur erfolgreich zu sein, sondern diese Welt als lebenswerten und menschlichen Ort zu erhalten und zu gestalten. Die inhärente Unvorhersehbarkeit der VUCA-Welt zu akzeptieren, ist unerlässlich, wenn wir in eine Ära vorstoßen, in der der Wandel die einzige Konstante ist. Angesichts dieser radikalen Veränderungen (z.B. durch neue Technologien, wie Artificial Intelligence) stellt sich die große Frage, was Bildung heute noch bedeuten kann und vor welchen neuen Aufgaben und Herausforderungen Schule und Universität in einem VUCA-Kontext stehen. Es scheint, dass sich unser bestehendes Bildungssystem, in dem Schule/Universität als Ort verstanden wird, der fast ausschließlich auf Vermittlung (und [Auswendig-]Lernen) von Wissen aus der Vergangenheit abzielt, überlebt hat.
Vier Zukunftsfragen die sich unsere Bildungssysteme stellen müssen
Zukünftige Bildungssysteme müssen sich folgenden — im Grunde sehr alten — Fragen stellen, diese jedoch im Lichte der oben genannten aktuellen vor allem technologischen Entwicklungen (neu) beantworten und in pädagogische Konzepte umsetzen:
Was macht uns in solch einer Welt zum Menschen, wie sieht das spezifisch Menschliche aus?
Wie sieht eine sinnvolle Beziehung zwischen Mensch(en), Umwelt, Gesellschaft, Technologie und Zukunft aus?
Wie begegnen wir den Herausforderungen der zunehmend verschwimmenden Grenzen zwischen Mensch und Technologie auf eine menschliche(re) Weise?
Welche Fähigkeiten/Kompetenzen, Haltungen und Denkweisen benötigen wir, um mit unserer ungewissen und unvorhersehbaren Zukunft umzugehen, und um sie mit Bedeutung und auf eine fruchtbare Art und Weise zu co-kreieren?
Auf diese Fragen zu antworten, würde den Rahmen dieses Artikels bei weitem sprengen, daher können hier nur einige Eckpfeiler solch eines Zukunftskonzepts von Bildung skizziert werden. Zuallererst müssten wir beginnen, den Menschen (wieder) als ein Sinn-suchendes (“sense-making”) Wesen zu verstehen und ihn/sie in seiner/ihrer Suche nach dem Sinn im Leben (sich selber), Sinn in der Welt, Sinn im sozialen und ökologischen Umfeld ernst zu nehmen. Hier geht es explizit nicht (nur) um Wissen, sondern um Sinn (”purpose”), da dieser nicht nur Orientierung und Richtung für alle weiteren Aktivitäten, Entwicklungen und Formen des Lernens gibt, sondern auch immer den Mensch als Ganzes in seiner Zukunftsgerichtetheit und Gestaltungsorientiertheit im Blick hat. Darüber hinaus trägt dies neueren Einsichten der Kognitions- und Neurowissenschaften Rechnung, dass unser Denken (und menschliches Sein) nicht nur auf Wissen und unser Gehirn beschränkt ist, sondern den Körper und Emotionen ebenso umfasst wie unsere Umwelt. Der sogenannte 4E-Ansatz zu Kognition (z.B. Newen et al., 2018) geht davon aus, dass unser Denken verkörpert (“embodied”) und in die materielle und soziale Umwelt eingebettet (“embedded”) ist, dass wir unter Zuhilfenahme unserer Umwelt denken (“extended”) und dass wir unsere innere und äußere Umwelt in Interaktion mit dieser permanent kreieren (“enacted”). Dies stellt einige lieb gewonnene Prämissen in pädagogischen Ansätzen, wie z.B. die Idee von Lehren/Lernen als “Wissenstransfer/-vermittlung”, auf den Kopf und ersetzt diese z.B. durch Prozesse der Co-Konstruktion von Wissen und Bedeutung in sozio-materiellen Formaten oder durch neue Haltungen und Verständnis betreffend unsere Beziehung zur Welt und zu Wissen.
In Zukunft wird es nicht mehr so sehr um “Wissen über die Welt” gehen, sondern um die existenziellere Frage eines sinnerfüllten Lebens und Lernens mit/in der Welt. Dies bedeutet, dass die Gestaltung der Welt und das sogenannte „Co-Becoming“ mit der Zukunft als situierte und soziale Praxis in den Vordergrund rücken werden. Der Begriff „Co-becoming“ kann als „gemeinsames Werden“ oder „Co-evolvieren“ ins Deutsche übersetzt werden. Während „gemeinsames Werden“ den Gedanken des gemeinsamen Entstehens mit der Welt betont, so unterstreicht „co-evolvieren“ den kollaborativen und evolutionären Charakter dieses Prozesses. Dies kommt in einem Positionspapier der UNESCO zur Zukunft der Bildung klar zum Ausdruck:
„…we have recognized that we live and learn in a world. Our pedagogies no longer position the world ‘out-there’ as the object we are learning about. Learning to become with the world is a situated practice and a more-than-human pedagogical collaboration… By focusing on worldly relations and encounters as inherently pedagogical, acknowledging that it is not only humans that teach and learn, and by mobilising human curiosity to learn from what is already going on in the world, we… make the shift from only ever learning about the world to learning with it.“
(UNESCO 2021, p 7 [Hervorhebungen durch den Autor])
Dies erfordert eine ganze Reihe neuer Fähigkeiten und Haltungen und Mindsets, die in aktuellen pädagogischen Konzepten — wenn überhaupt — nur sehr sporadisch zu finden, geschweige denn darin als grundlegende Leitprinzipien verankert sind:
Schon aus dieser sehr kursorischen Übersicht über Zukunftskompetenzen wird deutlich, dass es — angesichts der disruptiven Veränderung in unserer Welt auf der einen und der äußerst starren Strukturen in unseren Bildungssystemenen auf der anderen Seite — einer ehrlichen Auseinandersetzung mit sehr grundlegenden Fragen des Lernens und Lehrens, aber ebenso des Wissens (im Sinne einer Tätigkeit) und der Haltungen und Mindsets bedarf. Es besteht höchster Handlungsbedarf, dass die resultierenden Einsichten in eine tiefgreifende Transformation unserer Bildungssysteme münden, die nicht nur kosmetischer Natur sind, sondern Menschen hervorbringen, die selber durch eine persönliche Transformation gegangen sind und sie dadurch zu autonomen, zukunftsorientierten und verantwortungsbewussten Gestalter:innen unserer Zukunft machen.
Obwohl der angesprochene Wandel zunächst als herausfordernd erscheinen mag, haben unsere zahlreichen Erfahrungen in Projekten, die sich auf zukunfts- und sinnorientiertes Arbeiten, Lernen und Lehren konzentrieren, nicht nur deutlich aufgezeigt, dass er von allen Beteiligten positiv aufgenommen wurde, sondern auch in seinem Wert geschätzt wird, proaktiv mitgestaltet zu können. Unser Ansatz zielt darauf ab, unterschiedlichste Stakeholder in die Erkundung und co-kreative Gestaltung ihrer Umwelt einzubeziehen. Ein eindrückliches Beispiel hierfür ist unsere Zusammenarbeit mit der Medizinischen Universität Graz, bei der wir das Profil der Universität so weiterentwickelt haben, dass es den gesamten urbanen Raum um die Organisation für eine gemeinschaftliche, kreative Gestaltung öffnet. Die Universität verwandelt sich dadurch in einen Ort, der sinnstiftend wirkt und seine Umgebung nachhaltig und zukunftsorientiert prägt und formt.
Diese und viele weitere Projekte unterstreichen unsere Überzeugung, dass zukunftsorientierte Bildung uns zu Gestaltern macht. Wenn auch Sie diese Vision teilen, freuen wir uns, Sie auf diesem Weg zu begleiten und zu unterstützen. Denn sowohl bei der Entwicklung neuer, zukunftsorientierter Curricula in Bildungseinrichtungen als auch bei Weiterbildungsprogrammen oder Akademien für Unternehmen können wir unsere Erfahrungen gezielt einbringen und so gemeinsam mit Ihnen die Zukunft der Bildung als Schule der Zukunft gestalten.
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Nach den vielen Überlegungen zu Innovation, zu “learning from the future as it emerges” und zur Unterscheidung zwischen “purpose” und “meaning” ist es nun an der Zeit, sich Gedanken zu der Unterscheidung zwischen Potentialen und Trends zu machen. Denn obwohl beide in der Zukunft liegen und beide für Innovation relevant sind, bezeichnen sie doch unterschiedliche […]