Räume beeinflussen unser Wohlbefinden und unsere Leistung – das ist schon lange nichts Neues mehr. Auch die Tatsache, dass wir nicht mehr den ganzen Tag an einem Ort – dem Schreibtisch – verbringen, weil unterschiedliche Tätigkeiten verschiedene Umgebungen erfordern, hat sich herumgesprochen.
Zukunftsorientierte Unternehmen versuchen daher, die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter und die Anforderungen der Organisation in der Gestaltung der Arbeitsumgebungen zu integrieren. Ein Trend im aktuellen Bürodesign hält sich seit Jahren: Activity-based Working (ABW) und die damit einhergehenden Shared bzw. Clean Desk Policies. Abgesehen von der zweifelhaften Durchführbarkeit (z.B. welche Maßnahmen werden ergriffen, wenn ein Mitarbeiter gegen eine Clean Desk Policy verstößt?; und sind diese verhältnismäßig?) und der grundsätzlichen Überlegung, ob es wirklich förderlich ist, seinen Mitarbeitern nicht zu erlauben, ihren Arbeitsplatz identitätsstiftend zu gestalten (Stichwort: Familienfotos), stellt sich eine große Frage: ist Activity-Based Working wirklich die Antwort auf die zukünftigen Herausforderungen der Unternehmen?
“Blockiert? Spiel Tischtennis! Hol dir ein paar Sushi! Wenn du müde bist, geh in den Ruheraum. […] Der Arbeitsplatz ähnelt der auf größtmögliche Förderung ausgerichteten Umgebung, mit der sehr teure Privatschulen werben. Das mit hohen Kosten gleichfalls auf größtmögliche Förderung getrimmte Büro dient heute als Vorbild für die Gestaltung in “Innovationszonen”, als gälte der Grundsatz: je netter die Umgebung, desto kreativer die Menschen.”
Richard Sennett, Die Offene Stadt
Wir – und viele unserer Kunden – sehen das anders. Activity-Based Working mobilisiert zwar Mitarbeiter, über die eigene Schreibtischkante hinauszublicken, meist verlassen diese dabei aber nicht die unbewussten Handlungsroutinen und Denkmuster, nach denen sie ihre alltägliche Arbeit verrichten – sie tun immer noch das Gleiche, nur eben an verschiedenen Orten. Activity-Based Working richtet sich nach den – meist individuellen – Bedürfnissen der Mitarbeiter, die Bedürfnisse des Teams und des Unternehmens geraten dabei aber oft ins Hintertreffen. Das Individualwohl steht vor dem Gemeinwohl.
Zukunftsorientierte Unternehmen sollten also nicht primär Activity-Based Working fördern, sondern interdisziplinäres und projektbasiertes Arbeiten. Dabei müssen sehr unterschiedliche und herausfordernde Anforderungen in Einklang gebracht werden: Inhalt des Projektes, Komplexität der Aufgabenstellung, Bedürfnisse der Kunden, Zeitvorgaben, Planbarkeit, Perspektiven der Stakeholder, Projektstruktur, etc. – all diese Parameter erfordern ein exakt abgestimmtes Raumsetting, das sich in den meisten Fällen “mit dem Projekt verändern” muss. Das Leitmotiv dabei ist dabei stets: Das Projekt steht im Vordergrund, gibt den Rhythmus vor, und der Raum muss sich um das Projekt herum “fluide“ (schnell, unkompliziert, zweckentsprechend, etc.) verändern können..
Mit diesen Herausforderungen war auch einer unserer Kunden konfrontiert, ein erfolgreicher europäischer Immobilienentwickler. Die komplexen Immobilienprojekte werden über einen Zeitraum von 3-5 Jahren umgesetzt, unterschiedlichste interne und externe Stakeholdergruppen arbeiten in wechselnden Rhythmen gemeinsam an einem Projekt. Dabei folgt auf einen mehrmonatigen Kreationsprozess eine mehrjährige Bauphase, die in ein zeitoffenes Asset Management übergeht. Im Lebenszyklus eines solchen Projekts gibt es mehrere kritische Punkte, vor allem bei “Handovers” von einer Projektphase zur nächsten. Das kann gravierende Auswirkungen haben, die oft erst Monate oder Jahre später sichtbar werden, zB. wird das Konzept (die “Value Proposition”) des Projekts späteren Projektteilnehmern nicht erklärt, was oft zur Folge hat, dass besondere Gestaltungsideen Budgetkürzungen zum Opfer fallen, wichtige Funktionalitäten (Stichwort: Tiefgarage) im Gebäude fehlgeplant sind, oder sich verändernde Nutzerbedürfnisse nicht in ein User Experience Design aufgenommen werden.
Tatsache ist: Niemand kann all diese Aspekte alleine berücksichtigen, es braucht die Fähigkeit, als interdisziplinäres Team unterschiedliche Perspektiven zu verbinden, um ein kohärentes Produkt zu schaffen.
Wie können also räumliche Umgebungen aussehen, die komplexe Projekte durch eine produktive und konsistente Projektarbeit unterstützen?
Gemeinsam mit unserem Kunden haben wir sogenannte “Projektinseln” entwickelt. Dabei haben wir uns zunächst nicht mit dem architektonischen Raum beschäftigt, sondern in einem ersten Schritt u.a., folgende Fragen beantwortet:
Einsichten aus diesem ersten Schritt haben wir zu einem Masterplan für die Projektinseln weiterentwickelt, beschrieben und illustriert:
Unser Erfahrung ist, dass die meisten Mitarbeiter einen wertvollen Beitrag zum Unternehmen leisten wollen und meist auch gute Vorschläge machen, wie Projektarbeit unterstützt werden kann – organisational und räumlich. Daher entwickeln wir Arbeitsumgebungen immer gemeinsam mit den Menschen, die sie nutzen werden. Allerdings geht es dabei nicht darum, die „perfekte Arbeitsumgebung“ zu definieren (denn die gibt es nicht), sondern mit einem “functional prototype“ zu starten, der dann in unterschiedlichen Arbeitssettings über einen längeren Zeitraum getestet und weiterentwickelt wird. Wir setzen dabei eine Bandbreite an Methoden und Tools ein, die an das Unternehmen angepasst werden. Unabhängig davon aber benötigt ein co-kreativer Designprozess folgende Haltungen und Skills der beteiligten Akteure:
Der nächste Schritt unseres Projekts mit dem Immobilienentwickler war darauf ausgerichtet, gemeinsam mit den Nutzern der Projektinseln (i) organisationale Rahmenbedingungen festzulegen, (ii) Arbeitssettings zu gestalten und mittels Prototypen umzusetzen und (iii) ein gemeinsames Verständnis und ein “Handbuch” für Projektarbeit zu erarbeiten.
Als ein “Game Changer“ in der erfolgreichen Implementierung der Projektinseln erwies sich eine ausgedehnte Prototyping-Phase: ein Projektteam von ca. 5 Personen meldete sich freiwillig, über einen Zeitraum von 2 Monaten im Testsetting zu arbeiten: in einem neu gestalteten Arbeitsumfeld, mit neuen Arbeitsprozessen und “auf Distanz“ zu ihren Abteilungen – um so schnell zu lernen, was Vorteile und Herausforderungen des neuen Arbeitens sind und ihren KollegInnen aus erster Hand glaubwürdig zu vermitteln, wie sich das neue Arbeiten im Alltag anfühlt.
Gleichzeitig entwickelten wir in Zusammenarbeit mit ca. 50 Personen aus allen Bereichen des Unternehmens ein Projekthandbuch, das einfach beschrieben und visuell die wichtigsten Eckpunkte des neuen Arbeitens zusammenfasste: was ist die Strategie des Unternehmens und welche Rolle spielen dabei Projekte? Wie läuft ein Projekt ab (Phasen, Meilensteine, Deliverables etc.)? Wer sind die wichtigsten Projektbeteiligten, welche Verantwortlichkeiten haben sie? Wie wird Projektarbeit ermöglicht: Prozesse und Strukturen, Raum (Projektinseln) und konkrete Team-Praktiken?
Der physische Raum (das Mobiliar der Projektinseln wurde gemeinsam mit dem Kunden geplant und in Kooperation mit einem lokalen Tischler gefertigt), die organisationalen Rahmenbedingungen und die konkreten Arbeitspraktiken wurden also gemeinsam entwickelt, wodurch die Mitarbeiter ein ganzheitliches Verständnis der neuen Arbeitswelt erleben konnten. Wir wählen bei jedem Projekt ein integratives Vorgehen, denn: ein gutes Arbeitssetting geschieht nicht durch Zufall, zu rigide Planung verhindert allerdings von vornherein, dass die Mitarbeiter für ihre Arbeitsumgebung Verantwortung übernehmen.
Den Tag des Einzugs in die neue Arbeitsumgebung erlebten die Mitarbeiter also nicht als Bruch zwischen Bekanntem und Unbekanntem, sondern als einen nächsten Schritt in einem gemeinsamen Lern- und Entwicklungsprozess. Das hing auch damit zusammen, dass der Raum nicht fertig eingerichtet war, sondern sie den Raum gemeinsam “einnehmen“ konnten: Tische wurden verschoben, funktionale Übergänge von einer zur nächsten Projektinsel besprochen, Bildschirme, Raumteiler etc. so positioniert, dass größtmögliche Nutzerfreundlichkeit für alle gewährleistet wurde. In diesem “Verhandlungsprozess” wurden auch gemeinsam soziale Rahmenbedingungen definiert, ähnlich einem Kennenlernen der “neuen Nachbarn”.
Im Laufe der nächsten Monate entwickelten wir gemeinsam mit den “Bewohnern” der Projektinseln den Raum, das Mobiliar und die Arbeitsprozesse weiter; außerdem wurde ein “Wachstumsplan“ konzipiert, da auch andere Abteilungen des Unternehmens Interesse an projektbasiertem Arbeiten zeigten. Natürlich verlief dieser “Reifeprozess“ nicht reibungslos, die Grundidee der Projektinseln – interdisziplinäres Arbeiten, in dem nicht das individuelle “Well-being“, sondern ein höher gelagerter, organisationaler Zweck im Fokus steht – wurde allerdings nie in Frage gestellt.
Aus unserer Erfahrung in diesem und vielen ähnlichen Projekten können wir sagen: interdisziplinäres Arbeiten ist eine der größten Herausforderungen – und eines der größten Potenziale – für zukunftsorientierte Unternehmen. Es gibt kein Rezept, wie Projektinseln aussehen sollten – das physische Äußere ist zwar wichtig, aber erst in einem späteren Schritt. Zu Beginn gilt es herauszuarbeiten, welche Bedeutung eine solche Art der Arbeit für den jeweiligen Bereich, ein bestimmtes Thema und das Unternehmens hat. Dies variiert je nach Branche und Unternehmen. Es braucht hierzu einen durchdachten und bis ins Detail abgestimmten Masterplan, der organisationale Anforderungen, räumliche Settings und Teampraktiken miteinander integriert und der von den Mitarbeitern mitgestaltet und weiterentwickelt werden kann.
Die Projektinseln – oder ähnliche interdisziplinäre Arbeitssettings – werden so zum Kulminationspunkt einer neuen Identität und einem Ort für sinnstiftendes Arbeiten.
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