Profilbildungsprozess der Medizinischen Universität Graz: Wie schafft man eine einzigartige Identität inmitten akademischer Konformität?

  • Auftraggeber:in ist eine medizinische Universität, die Medizinische Universität Graz.
  • Das Rektorat hat beschlossen, die Universität neu zu positionieren, um so eine neue Identität zu schaffen und einen zukunftsorientierten Transformationsprozess zu starten. Dieser sollte unter anderem die Gründung von Spin-offs unterstützen und zur Umsetzung der „Third Mission“ der Universität beitragen.
  • Basierend auf dem Claim „Pioneering Minds – Education and Research for Patients‘ Health and Well-Being“ hat theLivingCore ein zukunftsfähiges Profil der Medizinischen Universität Graz erstellt. Weiters wurden zukunftsorientierte Organisationsprozesse und -strukturen entwickelt sowie die Basis für zahlreiche Transformationsinitiativen gelegt, die die neue Positionierung mit Leben füllen.
  • Die Medizinische Universität Graz hat die neue Positionierung angenommen und einen Transformationsprozess gestartet. Eines der Ergebnisse des Prozesses ist die Schaffung eines „Innovation Hub“ mit dem Fokus, eine Brücke zwischen medizinischer Forschung und praktischer Anwendung in der Wirtschaft zu bauen.
  • Die Erkenntnisse und Ergebnisse aus unserer Zusammenarbeit reichen bereits über die Medizinische Universität Graz hinaus: weitere österreichische Universitäten überarbeiten ihrerseits ihre Strategien zu den Themen Innovation und Gründung von Spin-offs (als Teil ihrer „third mission“).

Zu Beginn unseres Projekts meinte ein junger Forscher im Interview:

„Ich arbeite an einer Universität und ich wünsche mir die Freiheit, Dinge zu erforschen, die ich noch nicht weiß und mich mit herausfordernden Fragen zu beschäftigen. Aber in Wirklichkeit muss ich mich wissenschaftlichen Trends folgen. Alle denken über KI, maschinelles Lernen, CRISPR und so weiter nach. Und trotzdem: Einen Großteil meiner Energie stecke ich in den Wettbewerb um Publikationen und in den Umgang mit der Abteilungspolitik. Ich habe Fragen wie: Wie passe ich da rein? Mache ich alles richtig, so, wie es sich gehört? Es gibt so viel Politik in der Wissenschaft, dass man fast vergisst, wofür man sie betreibt…“

Dieser Forscher war mit seinen Gedanken nicht allein, und die Universitätsleitung nahm sie als Herausforderung an, eine neue Art von Bildungs- und Forschungsatmosphäre zu schaffen.

Unabhängig davon sind die österreichischen Universitäten dazu angehalten, ihre „third mission“ zu erfüllen und finanziell unabhängiger zu werden. Diese Herausforderung führte zu der ersten Frage, die unser Kunde an uns richtete:

„Wie können wir in einer Zeit, in der die Universitäten zunehmend dazu gezwungen sind, sich den vorherrschenden Trends und dem wirtschaftlichen Druck anzupassen, ein Umfeld schaffen, das die Menschen dazu ermutigt, Neues zu wagen und Neues zu entdecken?“

Im Wettbewerb mit akademischen Zentren wie London hat Graz, wie jede andere medizinische Universität in Österreich, einen harten Kampf um Anerkennung zu bestehen. Dies führte zur zweiten Frage des Auftraggebers:

„Wie kann eine ländliche Universität wie Graz ihren Standort nutzen, um mit solchen Giganten zu konkurrieren? Wie können wir als Institution die notwendigen Verfahren und Richtlinien der Wissenschaft befolgen und gleichzeitig eine unverwechselbare Nische aufbauen und eine einzigartige Positionierung entwickeln?“

Drei strategische Schritte zur Gestaltung der einzigartigen Identität einer Universität und ihrer gebauten Umgebung

Die Medizinische Universität Graz beauftragte theLivingCore, einen ko-kreativen Profilbildungsprozess zu entwickeln und zu begleiten. Der Prozess gliederte sich in drei Phasen:

1. Verstehen des Status Quo

Zu Beginn des Projekts versuchten wir, ein tiefgehendes Verständnis für den aktuellen Stand der Dinge an der Medizinischen Universität Graz zu entwickeln. Wir führten Umfragen sowie ethnographische Beobachtungen durch sowie on-desk Research und ausführliche qualitative Interviews.  

Ziel war es, den akademischen, geografischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontext zu verstehen und die internen Prozesse, Strukturen, Kulturen und Narrative der Universität kennen zu lernen. Dies wiederum half uns dabei, verborgene Potentiale aufzudecken, die wir in einem nächsten Schritt nutzen würden, um ein anschlussfähiges, nachvollziehbares und zukunftsorientiertes Profil für die Universität zu erstellen.

Wir sehen diese erste Phase bereits als integralen Bestandteil des Transformationsprozesses: Die generativen Interviews mit verschiedenen Stakeholdern bringen nicht nur Themen, Potentiale und mögliche zukünftige Entwicklungen auf eine sehr persönliche und ansprechende Art und Weise zur Sprache, sondern leiten gleichzeitig positive Veränderungen ein.

2. Sense-making und Entwicklung einer einzigartigen Positionierung

In dieser Phase ging es and die Auswertung und Integration der riesigen Mengen an quantitativen und vor allem qualitativen Forschungsdaten aus der ersten Phase. Basierend darauf identifizierten wir Potentiale, die das Erbe der Universität mit einer vielversprechenden Zukunft verbinden. Die Ergebnisse dieser Arbeit wurden in einem sogenannten „Kernprozessmodell“ verdichtet.

Zukünftige Kernprozesse beschreiben die wesentlichen, strategischen Maßnahmen, die eine Organisation ergreifen muss, um ihren Zweck zu erfüllen. Sie werden in enger Zusammenarbeit mit Kund:innen erstellt.

Basierend auf den Forschungsergebnissen und den neu erstellten Kernprozessen entwickelten wir einen Fahrplan, um die Identität der Universität neu zu gestalten, ihre einzigartige Positionierung zu sichern und die Richtung für ihre Umsetzung vorzugeben.

Med Uni Graz: Pioneering Minds – Education and Research for Patients’ Health and Well-Being

Der obige Claim beschreibt die neue Positionierung der Medizinischen Universität Graz. Sie ist inspiriert und geleitet von einer ganzheitlichen Sicht auf den Menschen, welche seine biologischen, psychologischen und sozialen Dimensionen berücksichtigt und damit den Rahmen des medizinischen und pädagogischen Ansatzes erweitert.

Der Claim leitet das medizinische Personal in seiner täglichen Arbeit: in der Patient:innenenversorgung, in der Lehre und in der interdisziplinären Grundlagen- und angewandten Forschung. Auf diese Weise hat die Arbeit des Personals direkte soziale und wirtschaftliche Auswirkungen in der Region und darüber hinaus.

3. Die neue Identität zum Leben erwecken

Wie erweckt man eine neue Positionierung zum Leben? Wie schafft man es, dass sie mehr ist als nur ein Claim auf dem Briefkopf? Das Rektorat der Medizinischen Universität Graz hat sich dieser Herausforderung gestellt und gemeinsam mit uns drei „Transformationsströme“ definiert. Diese sollen sicherstellen, dass die neue Positionierung tatsächlich tiefgreifend in der gesamten Organisation verankert wird.

Der erste Transformationsstrom konzentriert sich auf die Patient:innenversorgung. Die Medizinische Universität Graz erweitert den Handlungsraum, indem sie den medizinischen Ansatz um das Konzept des „Wohlbefindens“ ergänzte. Es geht nicht mehr „nur“ darum, Menschen proaktiv gesund zu erhalten oder gesund zu machen, sondern darum, zu erkennen, dass die eigentliche Aufgabe manchmal darin besteht, zum Wohlbefinden des Menschen beizutragen, zum Beispiel im Falle einer unheilbaren Krankheit.

Zu diesem Zweck verfolgt die Medizinische Universität Graz aktiv den „biopsychosozialen“ Ansatz in der Patientenversorgung. Die Patient:innen erleben eine umfassende Gesundheitsversorgung und erfahren mehr Handlungskompetenz und Mitsprache bei der Gestaltung ihrer Versorgung.

Der zweite Transformationsstrom konzentriert sich auf Studierende und Mitarbeiter:innen. Von Anfang an gab es den Anspruch, dass die Universität Pionier:innen in allen Positionen und Berufen anziehen wollte. Reinigungs- oder Verwaltungspersonal sollte die gleichen Möglichkeiten haben, Pionier:innen zu sein, wie Forschende und Studierende.

So hat die Medizinische Universität Graz ihr Curriculum und ihr Aufnahmeverfahren neu gestaltet. Getestet werden nicht nur die intellektuellen Fähigkeiten, sondern auch das Einfühlungsvermögen und die Fürsorglichkeit der Studierenden. Die persönliche Entwicklung und Entfaltung der Studierenden und des Personals wird gefördert, und dies kommt unmittelbar der Patient:innenversorgung zugute.

Der dritte Transformationsstrom bezieht sich auf Innovation und Wissenstransfer. Ziel ist es, die Anforderungen der translationalen Forschung zu gewährleisten: Ergebnisse aus der akademischen Forschung sollen der Gesellschaft zugute  kommen. Dies bedeutet ein Ende der „Elfenbeinturm“ -Forschung und die ein Brückenschlag zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung (Erfüllung der „third mission“).

Ein Schlüsselprojekt in diesem Bereich war die Einrichtung eines Innovation Hub (jetzt bekannt als Medical Science City Innovation Hub) an der Medizinischen Universität Graz, das pionierhafte Forschende, Studierende sowie Menschen aus anderen Disziplinen zusammenbringt und sich auf die Schaffung von Spin-offs konzentriert, die direkte positive  Auswirkungen auf die Gesellschaft haben.

Schlussfolgerungen und Learnings

Die Medizinische Universität Graz hat in den Jahren unserer fruchtbaren Zusammenarbeit einen erstaunlichen Sprung nach vorne gemacht. Sie hat sich nicht nur strategisch neu positioniert, sondern auch neue Prozesse und Initiativen gestartet, um ihre neue Identität mit Leben zu erfüllen.

Abschließend möchten wir mit Ihnen einige Erkenntnisse aus unserem Projekt teilen, die uns inspiriert haben und die vielleicht auch Sie inspirieren.

1. Ändern Sie Ihre Denkweise – und die Ihrer Organisation

Das menschliche Gehirn sträubt sich gegen Veränderungen, es hat Angst zu scheitern und es hat seine liebgewonnenen Überzeugungen davon, wie die Dinge funktionieren (sollten). „Organisationale Gehirne“ sind da nicht viel anders. Sie sind sogar noch sturer… Organisationale Denk- und Handlungsmuster, die der Veränderung entgegenstehen, zu erkennen und zu überwinden sind jedoch der entscheidende Hebel, wenn es um nachhaltige Veränderung geht. Leichter gesagt als getan. Deshalb empfehlen wir dringend, dass Sie Ihre Mitarbeiter:innen, insbesondere Ihre Führungskräfte, dabei unterstützen, sich ihrer eigenen Gedanken, Meinungen und Überzeugungen über Veränderung bewusst zu werden und sie zu reflektieren. Bieten Sie außerdem persönliches Coaching an und stellen Sie organisationale Strukturen auf, um neue, veränderungsorientierte Gewohnheiten zu etablieren.

In vielen Projekten stellen wir fest, dass dies ein Aspekt des Transformationsprozesses ist, der vernachlässigt wird. Und im Umkehrschluss nachhaltige Veränderung verhindert, wenn Sie sich nicht darauf konzentrieren.

2. Gestalten Sie eine Zukunft, die die Vergangenheit respektiert

Dies ist der Weg zu nachhaltigem Wandel. Im Fall der Medizinischen Universität Graz haben wir uns beispielsweise entschieden, bei der Unterstützung der Gründung von Spin-offs einer sinnvollen und nachhaltigen sozialen Wirkung Vorrang vor der Anzahl der neu gegründeten Unternehmen einzuräumen. Dies steht im Einklang mit der Geschichte der österreichischen Universitäten, die immer schon humanistisch geprägt waren. Wir haben diese Stärke genutzt für eine klare zukünftige Ausrichtung genutzt.

3. Kultivieren Sie ein zukunftsorientiertes Mindset

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Sie eine zukunftsorientierte Denkweise fördern und sicherstellen, dass die Menschen, die für den Erfolg des Projekts entscheidend sind, die neue Positionierung vorantreiben. Alleingänge von wenigen sind zum Scheitern verurteilt, vor allem nicht in einer komplexen Organisation wie einer Universität. Investieren Sie gleich zu Beginn Ihre Zeit in ein „Stakeholder Mapping“: Ermitteln Sie die verschiedenen benötigten Rollen und erarbeiten Sie geeignete Methoden zur Einbeziehung der Stakeholder. Wir haben dafür ein „Stakeholder-Mapping-Spiel“ entwickelt, mit dem Sie Ihre Strategie zur Einbeziehung der Stakeholder entwickeln, überwachen und bei Bedarf anpassen können. 

4. Messen Sie Ergebnisse – aber anders!

Passen Sie Ihre Bewertungssysteme so an, dass Wirkung und Exzellenz nicht nur anhand traditioneller Maßstäbe wie zum Beispiel Anzahl der Veröffentlichungen, sondern zum Beispiel anhand spürbarer Auswirkungen in der Gesellschaft gemessen werden. Es mag schwer sein, den ersten Schritt zu tun und anders zu sein, aber positive Beispiele inspirieren immer zu Veränderungen im Ökosystem. Und die Ergebnisse unseres Projekts werden bereits beispielhaft für eine gelungene Veränderung der Arbeitsweise an österreichischen Universitäten genutzt.

5. Beharrlichkeit ist der Schlüssel zum Erfolg

Schließlich gilt es, angesichts der Herausforderungen den Kurs zu halten. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die Verwirklichung und Erhaltung einer einzigartigen Identität. So wie ein Flugzeug Luftwiderstand braucht, um abheben zu können, verwirklicht sich eine neue Identität, indem Menschen Herausforderungen überwinden und sinnvolle Entscheidungen treffen.


Hat dieses Projekt Sie dazu angeregt, über die Zukunft Ihrer eigenen Organisation nachzudenken? Haben Sie Fragen dazu, wie diese Erkenntnisse für Ihre Arbeit relevant sein könnten? Buchen Sie ein kurzes Einführungsgespräch mit unserem Gründer, Thomas Fundneider. Verwenden Sie einfach dieses Formular, um einen passenden Termin zu finden.

Aller Anfang ist einfach.

Sind Sie neugierig, über den Tellerrand zu blicken? 
Sind Sie bereit für den nächsten Schritt? 
Dann sprechen wir doch einfach miteinander! 
Alle unsere erfolgreichen Projekte haben so begonnen.
Gemeinsam können wir eine wünschenswerte Zukunft gestalten.


Bildrechte: Titelbild – Medizinische Universität Graz. Übrige Bilder – theLivingCore.