Warum der Krypto-Crash vorprogrammiert war und was wir über das Potential der Blockchain falsch verstanden haben
Autor: Oliver Lukitsch
Die Blockchain-Technologie wurde eingesetzt, um die Finanzmärkte zu beflügeln. Doch derzeit sind die Schattenseiten von Krypto-Investitionen deutlicher denn je. Wir scheinen Zeuge einer platzenden Blase zu sein. Wurde der Krypto-Hype damit entlarvt? Oder werden wir, sobald sich der Nebel lichtet, erfahren, welches Blockchain-Versprechen wirklich eingelöst werden kann? Eine geplatzte Blase und die darauffolgende Krise können auch etwas Gutes sein, wenn wir daraus lernen – und wenn wir sie als Chance sehen, das Potential der Blockchain-Technologie in der realen Welt aufzuzeigen.
Die Krypto-Krise
Der vorliegende Blogbeitrag wurde durch die jüngsten Ereignisse auf dem Kryptomarkt inspiriert. Man muss kein:e besonders aufmerksamer Beobachter:in sein, um über den FTX-Skandal zu stolpern, der die Kryptowelt in den letzten Tagen und Wochen erschüttert. Die Krypto-Börsenplattform FTX meldete im November Konkurs an; das Medienecho dabei unüberhörbar. FTX ist einer der prominentesten Akteure auf dem Markt. Während die Kryptosphäre also schon viele Erschütterungen erlebt hat, gilt diese als besonders folgenreich.
Was ist genau passiert?
Der Gründer von FTX ist der Physiker Sam Bankman-Fried, oft auch als SBF bezeichnet. SBF war im Finanzwesen tätig, bevor er in das Kryptogeschäft einstieg, also kein Neuling auf diesem Gebiet. Noch vor der Gründung von FTX gründete Bankman-Fried einen Hedge-Fonds namens Alameda. Alameda spielte eine zentrale Rolle beim Absturz von FTX; eine nun bekannte Tatsache.
FTX tauschte und hielt verschiedene Arten von Krypto-Vermögenswerten für seine Kund:innen, genau wie man es von einer Börsenplattform erwarten kann – aber anstatt einfach aus den Transaktionsgebühren Kapital zu schlagen, wurden die Vermögenswerte der FTX-Nutzer:innen für Spekulationen auf dem Kryptomarkt verwertet.
An dieser Stelle kommt nun der Hedgefonds Alameda ins Spiel. Ihm wurden die von FTX gehaltenen Krypto-Vermögenswerte anvertraut: er lieh sich die von FTX verwalteten Vermögenswerte für seine spekulativen Investitionen.
Heute wissen wir, dass Alameda ebendiese Vermögenswerte auf dem Finanzmarkt verspielt hat. Dies wäre, nebenbei bemerkt, in den USA illegal. FTX die Vermögenswerte seiner Nutzer dennoch an einen Hedgefonds verleihen, da der Sitz der Börse auf den Bahamas liegt, wo die Gesetzeslage dies auch zuließ.
Noch bemerkenswerter ist jedoch die Art der Sicherheit, die Alameda unterbreitete, um überhaupt einen Kredit bei FTX aufnehmen zu können: Es handelte sich um eine Kryptowährung namens FTT – nichts Geringeres als die eigene Kryptowährung von FTX.
Als CoinDesk, eine Krypto-Nachrichtenplattform, Wind von diesem Konstrukt bekam, veröffentlichte sie die Nachricht, und besiegelte so das weitere Schicksaal von FTX. Bedeutende FTT-Aktionäre (wie der CEO von Binance) verkauften ihre FTT-Token, was die finanzielle Stabilität von FTX weiter verschlechterte. Der Konkurs von FTX war die Folge, und die Nutzer:innen fragten sich nun, wo ihre Milliarden geblieben sind. Sie sind quasi Opfer eines regelrechten Schneeballsystems geworden.
Handelt es sich um eine geplatzte Blase oder ein echtes Schneeballsystem?
Lass uns ein paar Worte darüber verlieren, warum der Fall von FTX als Schneeballsystem betrachtet werden kann. FTX verwendet das Vermögen seiner Kund:innen für Spekulationen, was zutiefst illoyal und unmoralisch (und in einigen Ländern illegal) sein mag. Hätte es jedoch funktioniert, wären die Nutzer:innen und deren Vermögenswerte vielleicht nicht in Gefahr. Außerdem hätte FTX die Gelder seiner Nutzer:innen nicht endgültig verlieren können, wenn angemessene Sicherheiten vorhanden gewesen wären. Die Sicherheit der Geschäfte des Hedgefond Alameda war jedoch nichts anderes als der Wert der FTX-Coin selbst. Das Ökosystem von FTX war auf einer in sich geschlossenen Illusion aufgebaut. Um dies zu Vergleichen: wenn Du eine Apple-Aktien besitzt, weißt Du auch, woher ihr Wert kommt, nämlich von Apple-Produkten.
Aber waren wir wirklich Zeug:innen eines Schneeballsystems? Oder haben wir etwas viel Weitreichenderes beobachtet? Eine echte Krypto-Blase, die zu platzen droht? Speziell bei Kryptowährungen kann es manchmal schwierig sein, zwischen Schneeballsystemen und tatsächlich wertorientierten Investitionen zu unterscheiden.
Während traditionelle Aktien oft die „realen“ Produkte (und Dienstleistungen) eines Unternehmens repräsentieren, stellen Krypto-Token den Wert eines Blockchain-Ökosystems dar (bzw. sollten sie dies leisten). Blockchain-Ökosysteme und die ihnen zugrunde liegenden Technologien können in der realen Welt einen für Nutzer:innen spürbaren Unterschied machen. Sie sollten Funktionen und Dienste bereitstellen, die für ihre Nutzer:innen relevant und sinnvoll sind (obwohl genau dies bei vielen entsprechenden Projekten derzeit fehlt). Es handelt sich um Technologien, die unter anderem für die Datenspeicherung, die dezentrale Kommunikation, IoT und die Organisationsdesign genutzt werden können.
In der breiten Öffentlichkeit bleibt diese Wahrnehmung jedoch bestenfalls im Hintergrund. Krypto wird in erster Linie mit Spekulation in Verbindung gebracht. Die Bedeutung von Token und Coins beschränkt sich oft auf ihren Wert als Investitions- und Renditeobjekte. Was ein Token bewirkt und welche Funktionen er in einem Ökosystem ermöglicht, bleibt denjenigen vorbehalten, die sich wirklich für die zugrundeliegende Technologie und die dezentralen Blockchain-Ökosysteme interessieren.
Doch wie so oft ist die öffentliche Aufmerksamkeit auch eine Gestaltungsmacht. Durch den Hype um Kryptowährungen wird ihr tatsächlicher Wert verschleiert, während ihr Preis überproportional angeschoben wird. Auf diese Weise entstehen bedrohliche Blasen. Wenn eine Blase wächst, hören die Menschen auf, auf den intrinsischen Wert ihrer Investitionen zu achten. Sie folgen einfach dem Trend und investieren, weil eben viele andere es tun und weil es einen motivierenden Narrativ gibt, dass all das sich auszahlen wird.
Blasen und Schneeballsysteme ähneln sich darin, dass sie den intrinsischen Wert von Vermögenswerten verschleiern. Sowohl bei Schneeballsystemen als auch in ökonomischen Blasen werden Assets überbewertet. Beide beruhen also auf dem mangelnden Wissen der involvierten Shareholder. Der FTX-Skandal kombiniert dabei Scheeballsystem und ökonomische Blase auf brisanteste Weise.
Wenn wir uns zu oft fragen, ob wir es mit einem Schneeballsystem zu tun haben, dann ist die Wirtschaftsblase nicht mehr weit…
Wenn sich auf einem bestimmten Markt die Behauptungen über und Unterstellungen von Schneeballsystemen häufen, so bahnt sich oft auch eine Blase an.
Bei Kryptowährungen sind eben solche Vorwürfe keine Seltenheit. Oftmals wurde sogar Bitcoin selbst als Schneeballsystem bezeichnet. Denn schließlich gibt es einen grundlegenden Unterschied zwischen dem Wert einer Fiat-Währung und dem Wert einer Kryptowährung und ihrer institutionellen Bindung. Fiat-Währungen repräsentieren die Wirtschaftsleistung eines Staates oder eines Währungsverbandes. Der Wert von Bitcoin repräsentiert nur das Interesse an Bitcoin, nicht mehr und nicht weniger. Ob Bitcoin einen intrinsischen Wert hat, ist eine Frage derInterpretation.
Zugegeben, es handelt sich hier eigentlich um philosophische Themen und Fragen. (Was ist Geld? Woher kommt der Wert von Währungen?) Wir können diese aber zunächst umgehen. Es gibt eine Möglichkeit, den intrinsischen Wert eines Assets und seinen Preis auf dem Markt zu differenzieren.
Warum das Platzen der Blase Wunder für Krypto bewirken kann
Es gibt natürlich einen entscheidenden Unterschied zwischen Blasen und Schneeballsystemen. Wenn Blasen platzen, bleiben uns (in manchen Fällen) zumindest die intrinsischen Werte ehemals überteuerter Assets. Wenn ein Schneeballsystem platzt, hat man nichts mehr, weil die Grundlage des Systems eine Fantasie war. Aus diesem Grund kann Ersteres völlig legal ablaufen, während Letzteres ein Verbrechen ist.
Dies ist auch ein Grund, warum das Platzen einer Krypto-Blase ein heilsamer Moment für die Technologie und ihre Zukunft sein kann. Denn es kann das tatsächliche reale Potential der Blockchain-Technologie aufzeigen. In einigen Fällen, wie z. B. bei FTX und seinem nativen Token FTT, wird sich ein Mangel an intrinsischem Wert offenbaren. Eine platzende Blase kann aber auch den praktischen, realen Wert von Krypto-Ökosystemen aufdecken.
In der Tat versuchen viele (vor allem Ethereum-basierte) Ökosysteme verschiedene Möglichkeiten zu schaffen, um Unternehmen zu organisieren, eine faire und private Datenspeicherung und dezentrale Social-Media-Anwendungen zu schaffen. „dApps“, auf der Ethereum-Blockchain basierende Anwendungen, sind nicht einfach digitale Vermögenswerte, in die man investieren kann. Sie verfügen über digitale und doch reale Funktionen. Auch wenn viele dieser Projekte nach dem aktuellen „Krypto-Winter“ ihre Finanzierung verlieren könnten, wird ihr Wert deutlicher, wenn sie nicht nur als Anlageobjekte dienen.
Gezielte Blockchain-Technologie
Ein anschauliches Beispiel für zielgerichtete Blockchain-Technologie ist „swarm“, ein dezentrales Blockchain-Netzwerk zur Datenspeicherung und -verteilung, das darauf abzielt, die nächste Generation von zensurresistenten, unaufhaltsamen („unstoppable“), serverlosen „dApps“ zu etablieren. „
Für swarm und die mit ihm verbundene „Fair Data Society“ ist Krypto nicht einfach nur eine Investitionsmöglichkeit, sondern eine Technologie, die das Dateneigentum der Nutzer:innen stärken und diesen die Kontrolle über ihre persönlichen Daten wieder zurückgeben kann. Darüber hinaus finanziert die swarm-Stiftung Stipendien für Programmierer:innen, die auf swarm laufende Anwendungen schreiben wollen, um ihre Vision eines wirklich dezentralen Web3 zu fördern.
Wir arbeiten seit 2021 mit Swarm zusammen und entwickeln ein Toolkit zur Gestaltung dezentraler und lebendiger Ökosysteme, die auf den Prinzipien eines autonomen und ermächtigenden Web3 basieren. Unser Fokus lag auf den Bedürfnissen der Nutzer:innen und den Werten, die ihre Gemeinschaften prägen. Folglich lag unser Fokus nie auf Tokens, Coins und ihren finanziellen Wert.
Im Gegenteil, es ging darum, dass die Eigentümer:innen ihrer Daten die Kontrolle darüber zurückgewinnen, was sie im Gegenzug dafür erhalten, wenn ihre Daten von anderen genutzt werden. Oder dass Wikipedia auch in Staaten zugänglich bleibt, in denen es verboten ist, um nur zwei Beispiele von vielen zu nennen. Es ging immer um den intrinsischen Wert und den realen Zweck, um die Wahrung der praktischen Vorteile der Technologie, nicht um ihren Wert auf dem Finanzmarkt.
Wie geht es jetzt weiter?
Das Platzen einer Blase kann den Wert der von (ehemaligen) Investitionsobjekten offenbaren. Wir haben also die einmalige Gelegenheit, nun zu erkennen, was auch nach dem Platzen der Blase noch Bestand hat.
Aristoteles prägte die Idee der „Katharsis“, einer Klärung, bei der negative Emotionen und Charaktereigenschaften überwunden werden und einem geläuterten Selbst Platz machen. Vielleicht braucht die Blockchain etwas Derartiges. Eine Krypto-Krise kann sowohl Crash als auch Katharsis sein.
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