Liste der Artikel über unser Leitprinzipien
- Auftakt: Was Organisationen mit lebenden Systemen gemein haben
- Prinzip #1: Radikale Offenheit
- Prinzip #2: Sensing the Core
- Prinzip #3: Verborgene Potentiale erkennen und zum Leben erwecken
- Prinzip #4: Design und Co-creation
- Prinzip #5: Emergenz
- Prinzip #6: Enabling
- Prinzip #7: Learning from the Future as it Emerges
Autor: Markus Peschl, Oliver Lukitsch
Dieser Artikel ist Teil einer Serie von Blogbeiträgen, in denen wir, theLivingCore, unsere grundlegenden Leitprinzipien vorstellen – und diesmal widmen wir uns unserem dritten Prinzip. Es lebt in unserem Ansatz „sinnvolle und gewünschte Realitäten mitzugestalten“ (“co-creating meaningful and desired realities”).
Kurzum beleuchtet unser drittes Prinzip einen zentralen Aspekt unseres Innovationsverständnisses. Es betont, dass Innovation sowohl (1) ein Design-prozess, zugleich aber auch (2) ein sozialer Prozess ist. Mit anderen Worten: Bei Innovation geht es darum, neue Realitäten zu designen und neue Bedeutung mitzugestalten (d.h. “co-creation”).
Dies wiederum beruht auf der Einsicht, dass Innovation ein Wechselspiel zwischen einem tiefen Verständnis für das Vorhandene und der Gestaltung von etwas radikal Neuem und Anderem ist. Um zu innovieren, muss man also zunächst bereits vorhandene, latente Zukunftspotenziale identifizieren und verstehen, die dann kultiviert und „in die Realität gebracht“ werden müssen. All dies ist als ein Prozess der “co-creation” angelegt, der in ständiger Interaktion zwischen DesignerIn, NutzerInnen, den Stakeholdern und dem Objekt der Innovation/Veränderung entsteht. Auf diese Weise kann Innovation ganz neue Bedeutungen (und Realitäten) schaffen – und das auf eine gedeihliche und nachhaltige Weise. Außerdem wird (vor allem radikale) Innovation nur so von denjenigen akzeptiert und verstanden, die von ihrem Auftreten betroffen sind.
Verstehen und “Sense Making”
Gehen wir ein wenig in die Tiefe und betrachten zunächst unser Verständnis von „Design“, das sich am besten im Denken und Wirken von Klaus Krippendorff widerspiegelt. Es ist in dem folgenden Zitat gut zusammengefasst:
„The etymology of design goes back to the Latin de + signare and means making something, distinguishing it by a sign, giving it significance, designating its relation to other things, owners, users, or goods. Based on this original meaning, one could say: design is making sense (of things)… However, making sense always entails a bit of a paradox between the aim of making something new and different from what was there before, and the desire to have it make sense, to be recognizable and understandable. The former calls for innovation, while the latter calls for the reproduction of historical continuities.”
(Krippendorff, 1989, S. 9)
Um Neues hervorzubringen, müssen wir also ein tiefes Verständnis für die Gegenwart erlangen. Dazu gehören paradoxerweise Trajektorien, die von der Vergangenheit ausgehen und Einblicke in die Zukunft gewähren. Wenn wir letztere nicht erkennen und verstehen, riskieren wir, etwas mehr oder weniger Zufälliges zu innovieren. Denn nur eine weitreichende Kenntnis unseres (gegenwärtigen) Interessensgegenstandes bietet eine solide Basis für radikale Innovation.
Wie können wir also diese Balance zwischen Gegenwart und Zukunft herstellen? Wie können wir neuartige, aber dennoch sinnvolle zukünftige Realitäten gestalten?
Neue Bedeutung und Realitäten mitgestalten
Um die eben gestellte Frage zu beantworten: Wir halten (und begreifen) radikale Innovation als einen Prozess der Ko-Kreation. Wahre Neuartigkeit entsteht in kontinuierlicher Interaktion und (Ko-)Evolution zwischen kreativen Köpfen, dem geschaffenen Artefakt und seinen potenziellen NutzerInnen. Sie entsteht, wenn sich Innovatoren mit der (sozialen und materiellen) Welt auseinandersetzen. Radikale Innovation geschieht, wenn wir neue Bedeutung ko-kreieren. In diesem Sinne ist Innovation eine zutiefst soziales Mitwirken und Engagment in der Welt um uns herum. Sie ist ein „sozio-epistemologischer Prozess“, der „Wissensprozesse und soziale Praktiken“ integriert. (Dies steht wohlgemerkt nicht im Widerspruch zu der Idee, dass der eigentliche Funke, bzw. die Quelle neuer Ideen dem Individuum entspringt.)
Folgt man diesem Prinzip, gelangt man auch zu einem radikal menschenzentrierten Gestaltungsansatz (vgl. Krippendorff 2007). Der/die NutzerIn ist dabei nicht einfach ein passives Objekt des Interesses, sondern ein/eine PartnerIn, der/die als ExpertIn für die eigene Erfahrungs- und Lebenswelt dient.
Am wichtigsten ist jedoch, dass an der Ko-Kreation eine Vielzahl von verschiedenen DesignerInnen, NutzerInnen und InteressenvertreterInnen beteiligt sein können, die zusammen ein höchst diverses System von Mitwirkenden bilden. Wenn eine vielfältige Gruppe von Menschen solche Wissensprozesse vorantreibt, diversifiziert ihre Interaktion zugleich eben diese Wissensprozesse. Genau das eröffnet die Möglichkeit, dass neues Wissen entsteht – und ebnet so den Weg für radikale Innovation.
Vorhandene Bedeutungsräume verstehen
Ungeachtet ihres neuartigen Charakters ist es wichtig, dass innovative Produkte (und Dienstleistungen) verständlich bleiben. Daher müssen wir sicherstellen, dass externe NutzerInnen ihre vorhandenen mentalen Modelle oder Bezugsrahmen mit dem neuartigen Artefakt (also der manifesten Innovation) in Verbindung bringen können. Einfach ausgedrückt: Wir müssen eine Brücke zwischen dem etablierten Wissen der NutzerInnen und einem radikal neuen Produkt/Dienstleistung schlagen.
Die Herausforderung für nachhaltige und florierende Innovationen besteht also nicht nur darin, einfach nur neu, bzw. neuartig zu sein. Auch wenn solche Innovationen disruptiv sein sollen und die Welt um sich herum verändern können, müssen sie zunächst den bereits bestehenden Kontext möglicher NutzerInnen respektieren. Sie müssen sich mit deren Lebenswelt verbinden können – auch wenn sie letztere transfomieren. Wird das beschreibene Problem ausgewogen gelöst, so kann man entscheindenden Einfluss darauf nehmen, ob radikalere Innovationen akzeptiert, bzw. verstanden werden. All das ist also entscheidend dafür, dass eine Innovation einen florierenden und nachhaltigen Einfluss auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft hat.
An dieser Stelle müssen wir auch das MAYA-Prinzip erwähnen. Es besagt, dass wir danach streben müssen, das „fortschrittlichste, aber dennoch akzeptable“ (“most advanced yet acceptable”) Produkt, bzw. den besten Service zu gestalten. Unsere Herangehensweise an Design ist eine bewährte Methode, um dem MAYA-Prinzip gerecht zu werden. Es kann eben dadurch aufrechterhalten werden, dass Design zwar in bereits existierende Räume von Bedeutung und Relevanz eingebettet wird, aber auch neue Bedeutung schafft, ohne den Bezug zur Gegenwart zu verlieren.
Genau aus diesem Grund ist es also entscheidend, Innovation als ko-kreativen Prozess aufzusetzen. Er ermöglicht es DesignerInnen, nicht nur ihre eigenen Perspektive/Gewohnheiten einzubringen, sondern vielmehr zu verstehen, was der Innovationsgegenstand für die NutzerInnen und die verschiedenen Stakeholder bedeutet: Denn um zu verstehen, was noch nicht gänzlich da ist, müssen wir zunächst deren Erfahrungen und die von ihnen belebten Bedeutungsräume ernst nehmen und verstehen. Damit schafft man die Basis, um gemeinsam Zukunftspotenziale zu erkunden und zu realisieren.
Elisabethinen: Eine kurze Fallstudie
Wie sieht es aus, wenn unser drittes Prinzip (das Designen und die Ko-Kreation einer sinnvollen und gewünschten Realität) in der Praxis angewendet wird?
Eine unserer KundInnen sind die Elisabethinen. Es ist eine Organisation, die zutiefst menschliche Werte lebt – Werte, die in ihrer Institution stark verankert sind und die sich nicht lediglich auf Bekundungen belaufen, sondern die in jeder Begegnung zwischen Menschen erlebbar sind.
Wir wurden damit beauftragt, einen Masterplan für die Neuentwicklung des gesamten städtischen Ordensgeländes in Wien zu entwerfen. Um dies zu erreichen, setzten wir ein breites Spektrum an Methoden ein, wie generative Interviews, ethnografische Beobachtungen, eine breit angelegte Recherche und vor allem Sense-Making. All dies ermöglichte es uns, die zukünftigen Bedürfnisse älterer Menschen und ihrer PflegerInnen zu identifizieren, um dann einen besseren Ort zum Leben, Arbeiten, Heilen und menschliches Zusammenleben zu schaffen. Auf dem Weg dorthin haben wir eine Vielzahl unterschiedlicher Menschen einbezogen, wie z. B. Senioren, PflegerInnen, ÄrztInnen und DesignerInnen – und sie allesamt als ExpertInnen ihrer eigenen Erfahrungen eingebunden. Wir sind auch vor Ort “eingetaucht” (“Immersion”) und haben u.a. Body-suits benutzt, um das Leben älterer Menschen, ihre täglichen Herausforderungen und Bedürfnisse besser zu verstehen. Das Ergebnis war, dass wir die Essensausgabe, das Wegeleitsystem und den Empfangsbereich auf überraschend neue Weise gestalten konnten, ohne dabei den Bezug zur Lebenswelt aller Beteiligten zu verlieren.
Das vorliegende Projekt ist das perfekte Beispiel dafür, wie wir NutzerInnen und Stakeholder auf ko-kreative Weise einbeziehen. Wir erachten dies für essentiell, um eine weitreichende Transformation zu ermöglichen, ohne aber dabei den Blick für das zu verlieren, was bereits vorhanden und in der Gegenwart latent angelegt ist.
Wenn Sie interessiert sind, finden Sie mehr über das besagte Projekt auf unserer „project page”.
Unser drittes Prinzip leben
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Prinzip des Desgins und der Ko-Kreation sinnvoller Realitäten in unserer organisatorischen DNA verankert ist. Wir betrachten unsere Innovationsprojekte als wissensgetriebene, interdisziplinäre Multi-Stakeholder-Projekte, in denen DesignerInnen, NutzerInnen und entscheidende Stakeholder gemeinsam eine erwünschenswerte Zukunft herbeiführen. Es versteht sich von selbst, dass unser drittes Prinzip in unserer Innovationstechnologie leap verankert ist. Aber es ist ebenso ein Leitgedanke in unserer Transformationstechnologie Future Identity.
Und zuguterletzt ist es ebenso richtungsweisend, wenn wir Räume für menschenzentrierte Wissensprozesse und Lernen schaffen und damit Räume, die Ko-Kreation ermöglichen. Um es Ihnen nicht vorzuenthalten: Wir nennen sie Enabling Spaces.
Bild: Tim Mossholder bei Unsplash
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