Das Büro als Enabler – COVID-19 wird die Kernidee eines Büros nicht ändern

In den letzten Monaten haben wir uns (bei theLivingCore) in eine Beobachterrolle begeben, um Vorhersagen und Meinungen nachzugehen, wie ein Post-Corona Büro aussehen könnte bzw. ob wir in Zukunft überhaupt noch das Büro als “Enabler” benötigen werden.

Die Vorhersagen von Trendexperten zu Beginn der Pandemie gaben vielen Menschen Hoffnung: “bis Oktober werden wir alle wieder gesund und glücklich sein”. Jetzt ist es an der Zeit, sich ernsthaft mit den Auswirkungen von COVID-19 auf Büroräume zu befassen.

“People have been predicting the end of the office since the invention of Wi-Fi and laptops. Today, lots of people are suggesting the office will go away as companies fully embrace work from home as a way to give people greater flexibility. During the crisis, anyone who could work from home did and, for a while, many people thought it worked pretty well. But after months of living on video, the novelty has worn off. The vast majority of us — 88-90% depending on the study — want to work in an office again.”

Steelcase Research

Auf der Suche nach neuen Ansätzen und Lösungen

Erstens, und für Unternehmen gerade jetzt von zentraler Bedeutung, muss die Frage, wie Büros in Zeiten einer Pandemie sicher und produktiv gestaltet werden können, rasch gelöst werden (siehe auch “Reimagining the office and work life after COVID-19” von McKinsey). Der Möbelanbieter Bene bietet abschirmende Plexiglaswände zur physischen Trennung von Arbeitsplätzen an. Cushman & Wakefield haben das 6-Feet-Office vorgeschlagen; ein Konzept, das von Vielen ob seiner “seelenlosen” Räume kritisiert wurde. Gensler kreierte ein Werkzeug, das generative Algorithmen zur Planung der Bürobelegung verwendet und so die Arbeitsbereiche durch größere Abstände zwischen Personen neu konfiguriert. Kerstin Sailer schlug configurational thinking als Methode vor, um verschiedene Layout-Gegebenheiten von Gebäuden zu berücksichtigen und sie auf Bewegungsströme von Personen in Büros gesundheitstechnisch vorteilhaft anzuwenden. Viele weitere Lösungen werden derzeit erprobt.

Diese Lösungen zielen nachvollziehbar auf gesundheitliche Aspekte ab, die durch COVID-19 ausgelöst wurden: physische Distanzierung, Verringerung der Übertragungsrisiken, Umgang mit Luftströmungen, usw. Sie sind jedoch in erster Linie als Charakteristika und Mittel, nicht aber als wünschenswerte Ziele interessant. Oder anders ausgedrückt: Wir sind nicht davon überzeugt, gut ausgestattete Büros zu “Post-COVID-Büros” umzugestalten oder sie in “sterile” 6-Foot-Arbeitsumgebungen umzuwandeln.

Was könnten also Leitprinzipien oder wünschenswerte Ziele bei der Suche nach zukunftsfähigen Büros sein? Basierend auf unserer praktischen Arbeit, theoretischen Überlungen und unseren Beobachtungen wollen wir zwei Themen vorstellen, die wir in diesen Kontext für ganz zentral erachten: (1) Klärung des Zwecks eines Büros und die (2) Bedeutung der Präsenzzeit (mit dem Raum als Enabler) für die Schaffung und Aufrechterhaltung sozialer Kohärenz.

(Büro-)Räume als Enabler der Unternehmensstrategie

Kurz nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie trat der Immobilienentwickler HB Reavis an uns heran, um sie bei ihrem Innovationsprojekt „Büro 2030“ zu unterstützen. Wir führten spannende und inspirierende Gespräche, in denen wir die Wichtigkeit hervorhoben, dass Organisationen verstehen, warum sie überhaupt in Büros investieren sollten. Diese Aussage erscheint trivial, aber wie so oft sind offensichtliche und selbstverständliche Annahmen und Überzeugungen meist die spannendsten Ausgangspunkte, um Bestehendes zu hinterfragen. Wie wir in vielen Fällen beobachten können, “beherbergen” Organisationen vorrangig Personen in ihren Büros. Unabhängig von der Art der Arbeit und Aufgaben der Mitarbeiter pendeln die Personen ins Büro, sitzen die meiste Zeit vor einem Bildschirm und fahren am Nachmittag / Abend zurück nach Hause. Bereits vor Ausbruch von COVID-19 sahen Mitarbeiter und Manager dieses Modell als veraltet an, jedoch wurde es nur selten hinterfragt bzw. geändert.

COVID-19 wirkt nun als Beschleuniger, um zu hinterfragen, warum Personen überhaupt ins Büro kommen sollen: aufgrund eines  gemeinsamen Alignments?, aufgrund von Innovationsaktivitäten?, oder ist der Hauptzweck Kommunikation? Es kann hier keine pauschale Antwort geben. Vielmehr muss der Zweck eines Büros in einem zukunftsorientierten Prozess herausgearbeitet werden, basierend auf einer ganz zentralen Leitfrage: Was werden unsere organisationalen Kernprozesse in der Zukunft sein und welche Art von (physischen) Räumen benötigen wir, um diese Kernprozesse bestmöglich zu unterstützen? Organisationen mit einem formgebenden Purpose, der Orientierung gibt, haben einen langfristigen Vorteil. Viele Entscheidungen, die ein Unternehmen treffen muss, sind kohärent und aufeinander abgestimmt. Mit dieser Sichtweise werden Büroräume zum Enabler für die Zukunft einer Organisation.

“Social” baut auf Vertrauen auf – Vertrauen erfordert wiederum Präsenz und den physischen Raum

Stellen Sie sich ein Szenario vor, in dem Sie virtuell mit Kollegen zusammenarbeiten müssten, die sie noch nie zuvor getroffen haben. Im besten Fall würde es unverhältnismäßig  viel Zeit in Anspruch nehmen, um sich gegenseitig kennen und (buchstäblich) verstehen zu lernen, produktiv zu arbeiten und gegenseitig zu vertrauen. Zur Zeit entstehen interessante Studien, die sich mit dem Phänomen “Zoom-hervorgerufene soziale Distanz” befassen:

“It’s almost like you’re emoting more because you’re just a little box on a screen,´ Eichler-Levine says. ´I’m just so tired.´ So many people are reporting similar experiences that it’s earned its own slang term, Zoom fatigue, though this exhaustion also applies if you’re using Google Hangouts, Skype, FaceTime, or any other video-calling interface. The unprecedented explosion of their use in response to the pandemic has launched an unofficial social experiment, showing at a population scale what’s always been true: virtual interactions can be extremely hard on the brain.”

Julia Sklar in National Geographic

Der Grund für die meist (sehr) positive Resonanz des entfernten und virtuellen Arbeitens während COVID-19 liegt in der in vorangegangener (Präsenz-)Zeit aufgebauten sozialen Köhärenz (“social capital“). In anderen Worten ausgedrückt:

“It’s clear that social connection builds trust and strong bonds. But our ability to adapt to working remotely is reliant upon the relationships built over time through the spontaneous interactions and relaxed conversations that happen in person – in a conducive environment. The informal, shared spaces – or ancillary spaces – where we socialized, collaborated, focused and rejuvenated, enhanced our work experience before COVID-19 sent us all home.”

Quote from Steelcase´s excellent article “Why do we miss the office?

Führt man die Gedanken von oben weiter, werden folgende Fragen wichtig werden: Wie lange “hält” unser Sozialkapital, so dass unsere virtuellen Interaktionen nicht unproduktiv werden und unsere soziale Kohärenz zu bröckeln beginnt? Wie viel Zeit benötigen wir für eine physische Präsenz, um soziale Kohärenz aufzubauen oder bestehende sozialen Beziehungen aufrechtzuerhalten – geht es hier um Quantität oder Qualität? Welche Art von Praktiken und Routinen ermöglichen soziale Kohärenz? Etc.

Die Beantwortung dieser Fragen führt uns zurück zum Zweck eines Büros. Wie wir in der täglichen Praxis gesehen haben, zahlt es sich in mehrfacher Hinsicht aus, Zeit und Aufwand  in die Ausarbeitung von strategischen Fragen zu investieren. Die Ergebnisse dieser Arbeit beschleunigen Entscheidungen und Investitionen, schaffen Orientierung und Ausrichtung für die Mitarbeiter und ermöglichen, dass sich die Organisation in eine kohärente und zukunftsfähige Richtung weiterentwickelt.

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Image: Sarah Dorweiler at Unsplash