Autor: Oliver Lukitsch
Es besteht kein Zweifel, dass “glückselige” (joyful) Arbeit besser ist, als eine, die ist nicht wäre. Doch nicht alles, was mit dem Etikett „Freude“, „Leidenschaft“ oder „Glück“ versehen ist, hält, was es verspricht. Oft wird “Joy” (also Freude oder Glückseligkeit) als probates Werkzeug gesehen und nicht als selbststehendes Ziel, das es wert ist, ohne verborgene Motive verfolgt zu werden.
Jedes Projekt, das darauf abzielt, unser Glück oder unsere Glückseeligkeit zu vermehren, hat einen gewichtigen Nachteil. Unternehmen müssen wirtschaftlich handeln, sodass jegliches Glück im Büro zunächst von wirtschaftlichen Erfordernissen bestimmt wird. Das ist zwar nachvollziehbar, aber die Vergangenheit hat gezeigt, dass solche Projekte am Ende kontraproduktiv sein können, sowohl wirtschaftlich als auch psychologisch. Sie machen Mitarbeiter:innen nicht glücklicher, zehren diese vielmehr aus und erweisen sich obendrein als effizienzmindernde Maßnahmen.
In der Vergangenheit wurde Glückseeligkeit oder Leidenschaft als radikales Engagement verstanden. Von Arbeitnehmer:innen, die ihre Arbeit lieben, wurde erwartet, dass sie ihr Bedürfnis nach Schlaf, Hobbys und Beziehungen opfern, um sich nicht ablenken zu lassen, während sie ihrer Leidenschaf nachgehen.
Zu viel Arbeit (in Form von Arbeitsstunden) führt jedoch zu einer erhöhten Rate an körperlicher und psychischer Erkrankungen. In einer Vielzahl an Studien wird wiederholt betont, dass zu viel Arbeit eine Organisation weniger effizient macht. Mehr Arbeit ist nicht gleichbedeutend mit mehr Produktivität.
Es gibt verschiedene Gründe dafür, dass die 40-Stunden-Woche immer noch der Goldstandard ist – auch wenn sie oft als ineffizient angesehen wird. In gewisser Hinsicht gibt es auf der Seite der Arbeitgeber:innen Argumente für eine längere Wochenarbeitszeit, insbesondere wenn es darum geht, die kurzfristigen Ausgaben zu senken. Wir wollen uns jedoch auf die Freude oder Leidenschaft konzentrieren.
Seit den 80er Jahren wurde stillschweigend davon ausgegangen, dass 40-Stunden-Wochen für „leidenschaftliche“ Menschen altmodisch und langweilig sind. In der neuen Arbeitswelt würden die Menschen ihren ultimativen Sinn und ihr Glück in der schieren, unvergleichlichen Freude an der Arbeit finden. Sie würden eigentlich nichts anderes tun wollen, als zu arbeiten.
Heute wissen wir jedoch, dass dieser Ansatz für die große Mehrheit der Menschen nicht funktioniert. Sein menschlicher Tribut und seine langfristigen Auswirkungen auf die Leistung sind höher als seine kurzfristigen Vorteile. Aber wenn dieser Ansatz tatsächlich ineffizient ist, woher kommt er dann?
In den 1950er Jahren entdeckten die Waffenhersteller im Silicon Valley eine neue menschliche Ressource mit großem Potenzial. Heute würden wir diese Gruppe von Menschen als „hochbegabt, aber autistisch“ bezeichnen – damals noch nicht als „Asperger-Syndrom“ bekannt.
Diese Arbeitskräfte waren von einer sehr starken Leidenschaft für Technik und Erforschung beseelt. Sie hatten einen besonderen Rhythmus und eine Veranlagung zu ausgedehnten Arbeitszeiten, die für durchschnittliche Arbeitnehmer:innen unvorstellbar waren. Ihre Forschung beschäftigte sie Tag und Nacht. Sie wurden von ihrer Leidenschaft und ihrem brennenden Wunsch zu arbeiten angetrieben.
Dies war auch die Geburtsstunde des so genannten „Geeks“: ein Mensch, der alles andere zurückstellt und sein Interesse an Wissenschaft und Technik an die erste Stelle setzt. Die Unternehmen dehnten ihre Arbeitszeiten stark aus, so dass die Programmierer:innen spät nach Hause kommen und nachts arbeiten konnten. Sie schafften die Kleiderordnung ab und begannen, den exzentrischen Charakter ihrer Mitarbeiter:innen zu kultivieren und zu feiern.
Dies ist ein authentisches Beispiel dafür, wie freudige, leidenschaftliche Arbeit zu großer wirtschaftlicher Stärke und geschäftlichem Erfolg führen kann, wenn sie den Arbeitsvorlieben eines Menschen entspricht. Im späten 20. Jahrhundert wurde dieses Beispiel zunehmend als universelle Blaupause und nicht als einzigartige Erfolgsgeschichte angesehen. Doch im Vergleich zu Ingenieur:innen mit Asperger-Syndrom haben die meisten Menschen ganz andere Bedürfnisse in Bezug auf ihr soziales Leben, ihren Schlaf oder Sport und haben auch eine Vielzahl konkurrierender Interessen und nicht nur einzelne Leidenschaften.
Inspiriert durch die Erfolgsgeschichten im Silicon Valley begann man außerdem, lange Arbeitszeiten als quantitatives Maß für „Leidenschaft“ zu betrachten. Wenn ihre Mitarbeiter:innen lange arbeiten können, sind sie auch leidenschaftlich bei der Sache. Das dachten zumindest die Manager.
Doch anstatt diesen Maßstab im Nachhinein zu verwenden, schufen die Unternehmen ein Umfeld, das die Bestrafung von Mitarbeiter:innen förderte, die weniger Zeit in ihren Büros verbringen. Der Aufbau von Büros wie ein Ersatzwohnsitz, mit Fitnesszentren und Schlafzellen, legt(e) nahe, dass die Mitarbeiter:innen bleiben sollten, anstatt nach getaner Arbeit zu gehen.
Die Mentalität, lange Arbeitszeiten zu haben (manchmal doppelt so lange wie 40 Stunden), hat den Technologiesektor und später auch viele andere Branchen in den USA übernommen.
In Europa sind die Arbeitszeiten gut geregelt, aber 40-Stunden-Wochen (und länger) sind immer noch üblich, vor allem auf den höheren Stufen der Karriereleiter und in Sektoren wie Finanzwesen, Anwaltskanzleien, Beratung und ganz allgemein im mittleren Management. Seien Sie versichert, dass dies nur einer Minderheit von Arbeitnehmer:innen Freude bereiten, während es die Mehrheit ihrer Arbeitsressourcen langfristig aufbrauchen wird.
Unterm Strich: Eine begeisterte Minderheit drückt ihre Freude durch kompromisslose Hingabe aus. Viele hingegen suchen ihre Freude in mäßiger, sparsamer Arbeit und verlieren sie wieder, wenn sie sich nicht anderen Dingen im Leben widmen können. Es ist daher umso wichtiger, sich vor Augen zu halten, dass nur weil Ihre Mitarbeiter:innen nicht mehr oder sogar weniger als 40 Stunden arbeiten wollen, dies nicht bedeutet, dass sie keine Freude an ihrer Arbeit haben.
Newsletter abonnieren
Erhalten Sie besondere Einblicke in die neuesten Entwicklungen.